Zwischen Digitalisierung und Alltag haben wir vergessen und verlernt, unsere Sinne bewusst und richtig zu nutzen. Wann haben Sie das letzte Mal an einem Apfel gerochen? Oder einen Ort ohne Navi gefunden und sind barfuss herumspaziert? Versuchen Sie es mal wieder! Denn aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass eine bewusste Sinneswahrnehmung die körperliche und psychische Gesundheit positiv beeinflusst.

Die klassischen 5 Sinne

Bereits Aristoteles unterschied die klassischen fünf Sinne: das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Die Forschung kennt heute mindesten fünf weitere, die weniger bekannt sind: der Gleichgewichts-, Temperatur- und Schmerzsinn, die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der inneren Organe. 

All diese Sinne sind Meister im Teamwork. Fällt einer aus, übernimmt ein anderer. Andererseits steigern sie erst im multisensorischen Zusammenspiel unser Erleben und Wohlbefinden.

Wie können wir achtsam mit unseren Sinnen umgehen, Chow Ling Prager?

Chow Ling Prager ist Psychotherapeutin und Coachin bei WePractice, eine Plattform und ein Zentrum für mentale Gesundheit in Zürich. Sie hat uns bereits erklärt, wie Mental Load Stress erzeugt und wie wir selbstbewusst Nein sagen.

Wie sind unsere Sinne mit unserem Wohlbefinden verknüpft?

Angenehme Eindrücke, der Duft von Blumen, der Anblick eines geliebten Menschen oder beruhigende Musik können gute Gefühle auslösen. Und das ganz unbewusst über Areale im Gehirn, die Sinnesreize emotional bewerten. Umgekehrt können unangenehme Sinneseindrücke wie Lärm oder schlechte Gerüche Stress verursachen und sich negativ auf unser Wohlbefinden auswirken. Wie uns Sinnesreize beeinflussen, ist sehr individuell und hängt von persönlichen Erfahrungen, Kultur und Kontext ab.

Sollten wir besonders achtsam mit unseren Sinnen umgehen? 

Ja! Denn es hilft, Stress zu reduzieren und positive Emotionen zu verstärken. 

Warum sind wir in unserer Wahrnehmung so stark auf den Sehsinn fokussiert? 

Die digitale Technologie betont das Visuelle: Die meisten Informationen, die wir täglich erhalten und austauschen, erreichen uns über die Augen. Somit ist der Sehsinn in der heutigen Welt ausgesprochen wichtig. Der Verlust dieser Fähigkeit wird deshalb auch als einschneidend und belastend erlebt. 

Wie beeinflusst uns die dauerhafte Bildschirmnutzung

Sie kann für die Augen belastend sein und uns müde machen. Sie beeinflusst unsere sozialen Interaktionen – und bringt vor dem Zubettgehen unseren Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander. Deshalb ist es wichtig, bewusst Pausen einzulegen und die Bildschirmzeit zu begrenzen. 

Arbeiten Sie in Ihrer Therapie mit den Sinnen? 

Ja, ich arbeite häufig mit Achtsamkeitsübungen, die die Sinne miteinbeziehen. So starte ich Sitzungen, indem wir bewusst die Umgebung über den Seh- und Hörsinn wahrnehmen und die Aufmerksamkeit nach innen richten: auf die Atmung, das eigene Befinden und bestehende Bedürfnisse. Oft gebe ich auch Achtsamkeitsübungen für den Alltag mit. 

Wie können wir Sinneswahrnehmungen zur Stressbewältigung nutzen?

Durch Achtsamkeit lässt sich viel erreichen: Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass regelmässige Meditation die Gehirnstruktur, insbesondere das sogenannte Stirnhirn verändert, das wichtig für die emotionale Selbstregulation ist. So kann Meditation den Umgang mit Stress deutlich verbessern. 

Wie können wir im Alter eine gute sensorische Wahrnehmung aufrechterhalten?

Es ist wichtig, die Sinne bewusst und aktiv zu nutzen – und sie zu schützen: die Augen vor intensiver Sonneneinstrahlung, das Gehör vor lauten Geräuschen. Regelmässige Vorsorgeuntersuchungen sind auf jeden Fall empfehlenswert. Andere präventive Massnahmen sind eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf, der Verzicht auf das Rauchen und den übermässigen Konsum schädlicher Substanzen wie zum Beispiel Alkohol.

9 Tipps: So aktivieren Sie Ihre Sinne

  1. Intensives Schnuppern

    Riechen Sie an Lebensmitteln, bevor Sie kochen – oder am Cremetopf und Shampoo. Nutzen Sie Düfte gezielt, Lavendel zum Einschlafen, Rosmarin für konzentriertes Arbeiten. Krisen-Tipp: Der Duft von Apple Crumble soll Streit schlichten und holt selbst Teenager an den Küchentisch zurück.

  2. Schmecken versus Riechen

    Mischen Sie Zimt und Zucker. Halten Sie sich die Nase zu und nehmen einen halben Teelöffel in den Mund: Es schmeckt süss. Öffnen Sie die Nase. Jetzt erst kommt das Zimtaroma hervor. Dasselbe mit Kräutern: Ist die Nase zu, schmecken Petersilie und Koriander gleich, ist sie offen: unterschiedlich.

  3. Den Augen Pausen gönnen

    Das konstante Starren auf Bildschirme überfordert unsere Augen. Evolutionär sind sie dafür gemacht, in die Weite zu schauen, nicht auf digitale Bilder in der Nähe. Lassen Sie also Ihre Augen schweifen, damit sie sich erholen können: in der Natur oder durch das Fenster nach draussen in die Ferne.

  4. Meditatives Lauschen

    Schliessen Sie die Augen und achten Sie bewusst auf jedes Geräusch. Was hören Sie nebenan, was draussen? Wie hört sich Ihr Inneres an? Lauschen Sie Ihrem Atem und tun Sie sonst – nichts. Sie werden staunen, was Sie wahrnehmen und vorher nicht bemerkt haben.

  5. Zwischenmenschlich hinhören

    Hören bedeutet auch hinhören. Studien haben gezeigt, dass wir die Nuancen und Emotionen des Gesagten besser in der Stimme eines Menschen als an der Mimik erkennen. Der Hörsinn ist hier dem Sehsinn überlegen – obwohl wir es anders einschätzen.

  6. Füsse können auch tasten

    Mit den Fingern erkennen wir Dinge, die wir anfassen, innerhalb von Sekunden. Probieren Sie es mit den Füssen. Sie werden überrascht sein, wie gut Ihre Füsse spüren können.

  7. Weiches Sitzen hilft diskutieren

    Ein Tipp für Sitzungszimmer – oder den Familientisch: Mit einem weich gebetteten Hinterteil beharrt man weniger auf seinem Standpunkt und ist verhandlungsbereiter als mit einer harten Unterlage.

  8. Aromatherapie mit ätherischen Ölen

    Die positive Wirkung von Aromen auf das Gemüt ist seit dem Altertum bekannt. Düfte können starke Gefühle und Erinnerungen auslösen. Aromatherapie nutzt dies, um die Stimmung aufzuhellen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen.

  9. Mit allen Sinnen geniessen

    Ob Shinrin Yoku, das japanische Waldbaden, multisensorische Wellness-Anwendungen oder Restaurants, die alle Sinneseindrücke einbeziehen: Das kombinierte Erleben aller fünf Sinne liegt im Trend. Je mehr Sinnesreize Sie verknüpfen, desto intensiver erfahren Sie den Moment.

Quellen: 

  • «Die Magie unserer Sinne» von Dr. med. Ragnhild und Jan Schweitzer
  • «Unsere 7 Sinne – die Schlüssel zur Psyche» von Rüdiger Braun

Naturklänge für innere Ruhe

Hinhören und entspannen: Naturgeräusche wirken sich wohltuend auf unsere psychische Gesundheit aus. Der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Lutz Jäncke erklärt, warum wir mit allen Sinnen die Natur geniessen sollten – und wieso auch die Entspannungsmusik aus dem Kopfhörer guttut.

Entspannen mit Geräuschen und Musik

Prof. Dr. Lutz Jäncke gibt Tipps, wie Sie entspannende Geräusche in Ihren Alltag integrieren können. Plus: Spotify KPT Naturklänge-Playlist. Vielleicht finden Sie Ihre Lieblingsklänge?

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