Psychologe Prof. Dr. Lutz JänckeDer Neurowissenschaftler und gehört zu den angesehensten Hirnforschern der Gegenwart. Seit langem beschäftigt er sich mit der Plastizität und der Lernfähigkeit des Gehirns. Als Buchautor und Speaker vermittelt er Fachwissen humorvoll und allgemeinverständlich.

Lutz Jäncke, ist unser Gehirn fit für die digitale Welt? 

Internet, Smartphone und Social Media haben unsere Welt in zwanzig Jahren komplett verändert. Wir laden Bücher in Sekundenschnelle herunter – und lesen sie nicht. Streamen Filme, die wir nicht zu Ende schauen. Oder wir sind dabei zugleich auf Twitter, scrollen durch Facebook-Kommentare. Die enorme Masse an Informationen, die zur Verfügung stehen, das Dauerbombardement mit Lust spendenden Reizen und die veränderte zwischenmenschliche Kommunikation: Nein, damit ist unser Gehirn überfordert. 

Aber es kann doch nicht schaden, ab und zu ein niedliches Katzenvideo zu gucken? 

Bleibt es denn dabei? Oder wische ich weiter übers Handy, lese Klatsch über Heidi Klum, schaue einem Koch zu, erschrecke über einen Verkehrsunfall – und gleichzeitig poppen Nachrichten über WhatsApp, E-Mails und Likes auf Instagram auf. Und eigentlich wollte ich meine Steuererklärung machen.  

Warum fällt es uns schwer, mit dem Scrollen und Swipen aufzuhören? 

Die bunten Bilder, die Videos, die Schlagzeilen: All das erscheint unserem Gehirn interessant und reizvoll. Im limbischen System – einer evolutionär alten Hirnstruktur – entwickeln wir dann Lust- und Glücksgefühle. Und wir senden den Impuls: Mehr davon, bitte! Der Frontalkortex – das ist das sogenannte Stirnhirn, das etwa ein Drittel unseres Gehirnvolumens einnimmt – sollte dann regulierend eingreifen. Aber: Diese Selbstkontrolle muss geübt werden. 

 «Wir sind dafür gemacht, mit Menschen zu kommunizieren, und nicht dafür, als Avatare durchs Internet zu geistern.»

Was bewirkt das digitale Dauerfeuer bei Kindern und Jugendlichen? 

Die sind besonders gefährdet, sich zu reizgesteuerten Lustwesen zu entwickeln. Denn ihr Frontalkortex ist noch nicht ausgereift. Gamen zum Beispiel führt schnell zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin. Aber die Heranwachsenden müssen auch begreifen, dass es Dinge gibt, wo die Belohnung auf sich warten lässt. Sie müssen zum Beispiel für eine gute Note zwei Wochen für eine Prüfung lernen.  

Sie müssen also – wie wir alle – ihre Disziplin trainieren. 

Ja, und das ist gar nicht so einfach. Gerade auf das Internet und den Medienkonsum bezogen. Wem ist es nicht schon passiert, dass er nur mal kurz etwas googeln wollte und eine Stunde später noch auf den Bildschirm guckt? Weil wir reizgesteuert unseren Impulsen gefolgt sind – und nicht mehr über den Frontalkortex gesteuert ausgewählt haben.  

Wie steht es um das Multitasking? 

Dafür ist unser Gehirn nicht gemacht. Auch hier lassen wir uns gerne treiben, statt uns auf wesentliche Informationen zu konzentrieren und unsere eigentliche Aufgabe zu erledigen. Hier heisst das Stichwort «Stimuluskontrolle»: Wenn wir etwas bearbeiten wollen, gilt es, alle Auslösereize zu dezimieren. Mailfunktionen, Chats, Telefon ausschalten.  

Sollten Eltern ab und zu Digital Detox verordnen? 

Ich verteufele technische Hilfsmittel überhaupt nicht. Die digitale Welt bietet phantastische Möglichkeiten zum Wissensaustausch, zur Teilhabe und zur Vernetzung. Gerade Jugendliche können aber durch den ständigen Vergleich mit scheinbar makellos schönen, glücklichen Menschen in den sozialen Medien massiv verunsichert werden, genauso wie durch Hasskommentare, Fake News oder Cybermobbing. Hier ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben – und auch Zeiten ohne Medienkonsum zu verabreden.  

Wie hat die Digitalisierung die Kommunikation verändert? 

Man darf nicht vergessen: Wir sind eigentlich Tiere, die im Laufe der Evolution gelernt haben, miteinander zu sprechen, uns auszutauschen. Bindung und Empathie entstehen im direkten physischen Kontakt mit Menschen. Wenn wir eine Person kennenlernen, versuchen wir, ihre Mimik, ihre Gestik und ihre Stimme zu lesen, ihre Intentionen zu verstehen. Wir sind dafür gemacht, mit Menschen zu kommunizieren, und nicht dafür, als Avatare durchs Internet zu geistern.  

Heute kennen wir dafür die Bedeutung jedes Emojis. 

Und da kann schon ein falscher Smiley eine Beziehungskrise auslösen! Genauso wie flüchtig geschriebene Nachrichten voller Fehler, die nicht gerade vom Respekt des Gegenübers zeugen. Und deshalb sollten wir so formulieren, dass wir diese Person mit dem, was wir sagen wollen, erreichen. Auch im digitalen Miteinander sollte uns immer klar sein, dass auf der anderen Seite ein Mensch aus Fleisch und Blut sitzt.  

10 Tipps zum Umgang mit der digitalen Welt

In seinem neuesten Buch «Von der Steinzeit ins Internet» widmet sich Lutz Jäncke dem Thema moderner digitaler Technik und Sozialverhalten. Einige seiner Tipps hier in komprimierter Form.

  1. Wenig Reize

    Lassen Sie sich nicht zu viel von den Reizen im Internet treiben. Wählen Sie aus, was Sie lesen oder anschauen wollen. 

  2. Entschleunigen ist wichtig

    Entschleunigen Sie. Hastiges Konsumieren von Informationen ähnelt dem Verschlingen von Fast Food  – es bietet schnellen Genuss, aber wenig geistigen Nährwert.

  3. Von Hand schreiben

    Schreiben Sie statt auf der Tastatur mal wieder mit einem Füller oder mit dem Stift auf dem Tablet. Von Hand Geschriebenes findet den Weg besser ins Gedächtnis. 

  4. Nicht zu ernst nehmen

    Nehmen Sie nicht alles ernst, was sie im Internet sehen, und hinterfragen Sie den Wahrheitsgehalt von Informationen. Ignorieren Sie menschenverachtende Shitstorms.

  5. Gefühle in den Hintergrund

    Lassen Sie sich bei Urteilen und Meinungen nicht zu stark von Ihren Gefühlen leiten. Tauschen Sie sich mit anderen über Positionen und Sichtweisen aus.

  6. Gesundes Misstrauen

    Misstrauen Sie Selbstdarstellungen von Menschen im Internet, zum Beispiel auf Instagram. Schönheitsposen und unrealistische Köpermodelle können sich gerade auf Jugendliche negativ auswirken und beispielsweise Magersucht fördern. 

  7. Verständliche Kommunikation

    Pflegen Sie auch bei Ihrer digitalen Kommunikation eine klare verbale Ausdrucksweise. Geben Sie sich Mühe, verständlich rüberzukommen. 

  8. Selbstdisziplin und Meditation

    Trainieren Sie Ihre Selbstdisziplin und Achtsamkeit, indem Sie täglich meditieren

  9. Auszeiten einrichten

    Suchen Sie sich bewusst Auszeiten, in denen sie ohne digitale Welt agieren – und geniessen Sie diese. Analoge Erfahrungen  sind für unseren Körper und unser Gehirn lebensnotwendig. 

  10. Soziale Kontakte pflegen

    Pflegen Sie Sozialkontakte mit echten Menschen. Bauen Sie Vertrauen und Bindung auf. Vielleicht kommen Sie auch mal wieder aus dem Homeoffice ins Büro?

Wie können wir digitalen Reizen widerstehen?

Ist unser Gehirn überhaupt fähig, sich an die moderne Internetwelt anzupassen? Dieser Frage geht Hirnforscher Lutz Jäncke wissenschaftlich fundiert und amüsant zugleich nach. Wir verlosen 5 Exemplare des aktuellen Buchs „Von der Steinzeit ins Internet“.

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Wie gelingt es Ihnen, sich voll zu fokussieren und digitale Ablenkungen auszublenden? Teilen Sie Ihren Tipp und kommentieren Sie unseren Post vom 18.04.2023 auf Instagram oder Facebook. Wir freuen uns auf Ihre Anregung – und wünschen viel Glück!

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