Die Wanderwoche im Engadin in Ehren, aber auch davor und danach sollten wir immer wieder ein paar Sonnenstrahlen einfangen. Natürlich ohne rote Schultern zu riskieren oder eine Nase, die sich schuppt. Warum Sonnenlicht sich positiv auf Psyche, Schlaf und Wohlbefinden auswirkt, erklärt Dr. Christine Blume. Sie ist Schlafforscherin am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Auswirkung von Tages- und Kunstlicht auf die innere Uhr und den Schlaf.

Wie wirkt das Sonnenlicht auf unser Wohlbefinden?

Tageslicht hebt unsere Stimmung. Das merken wir besonders, wenn es fehlt: Im Winter mit seinen kürzeren und oft trüben Tagen entwickeln einige Menschen eine saisonal bedingte affektive Störung – im Volksmund Winterdepression genannt. Lichttherapie ist hier die Behandlungsmethode der ersten Wahl.

Warum braucht der Mensch das Sonnenlicht?

Das Tageslicht ist die wichtigste Orientierungshilfe für unsere innere biologische Uhr und beeinflusst so auch unseren Schlaf- und Wachrhythmus. Denken wir zurück: Unser Organismus hat sich unter dem freien Himmel entwickelt – und nicht in Büros oder Wohnungen.

Unser Organismus hat sich unter dem freien Himmel entwickelt – und nicht in Büros oder Wohnungen.

In der Natur gibt es klare Unterschiede zwischen Tag und Nacht, was unser Körper schätzt. Ohne Tageslicht als Zeitgeber gerät die Synchronisation zwischen unserer inneren Uhr und der Umwelt durcheinander. 

Wie tickt unsere innere Uhr denn eigentlich?

Unsere innere Uhr im Gehirn gibt wie eine Dirigentin den Takt für viele Körperfunktionen vor. Ohne Tageslicht oder bei kontinuierlicher Helligkeit beginnt sie in ihrem eigenen Rhythmus zu ticken. Die Zeit vom Beginn eines Tages bis zum nächsten ist bei den meisten Menschen dann etwas länger als 24 Stunden. So verschiebt sich der innere Tag immer weiter im Vergleich zur externen Uhrzeit. 

Bekommen wir Sonnenlicht – vor allem am Morgen – wird die innere Uhr etwas vorgestellt und die Dauer unseres «inneren Tages» verkürzt. So bleiben wir mit dem 24 Stunden dauernden Hell-Dunkel-Rhythmus in Einklang. Mein Tipp: Täglich um die gleiche Zeit aufstehen und möglichst rasch ab nach draussen!

Mein Tipp: Täglich um die gleiche Zeit und möglichst rasch nach dem Aufstehen ab nach draussen!

Also Brötchen holen gehen oder die Joggingrunde absolvieren. So verlagert sich der Rhythmus nach vorne und wir werden abends früher müde. Wer mehr Tageslicht bekommt, schläft ausserdem besser und lässt sich abends durch künstliches Licht nicht mehr so leicht verwirren. 

Denn Licht am Abend würde die innere Uhr verzögern?

Genau. Das hängt auch mit der Hormonproduktion zusammen: Die Zirbeldrüse im Gehirn produziert tagsüber das oft als «Glückshormon» bezeichnete Serotonin und zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen – mit der Abnahme des Lichts – das «Dunkelhormon» Melatonin. Melatonin macht müde und bereitet den Körper auf den Schlaf vor. Licht unterdrückt und verzögert die Ausschüttung von Melatonin. Deshalb empfiehlt es sich, Licht abends zu reduzieren, weil sich sonst die biologische Nacht nach hinten verschiebt, wir später einschlafen und so oft auch weniger schlafen. 

Wie wirkt sich Sonnenlicht noch auf den Körper aus?

Setzen wir uns dem Tageslicht aus, sind wir draussen in der Natur, vielleicht in einem Park oder in einer grünen Umgebung. Dadurch wird die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol reduziert. Der Blutdruck und die Herzfrequenz sinken.

In der Natur, bei Tageslicht, sinken der Cortisolspiegel, Blutdruck und Herzfrequenz.

Natur und Sonnenlicht wirken sich auch positiv auf das Immunsystem aus. Sonnenlicht ist über die Haut aufgenommen notwendig für Produktion von Vitamin D, das unter anderem wichtig ist für das Immunsystem und den Aufbau und Erhalt der Knochen.

Und wie wirken Sonne und Tageslicht auf Geist und Psyche?

Sie wirken antidepressiv, nicht nur bei Winterdepression , und wirkt sich auf die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit positiv aus. Studien zeigen, dass Patienten nach einer Operation weniger Schmerzen haben, wenn sie ein Zimmer mit mehr Tageslicht haben. 

Studien zeigen, dass Patienten nach einer Operation weniger Schmerzen haben, wenn sie ein Zimmer mit mehr Tageslicht haben.

Kurz gesagt: Zeit in der Natur zu verbringen, sich zu bewegen und dem natürlichen Tageslicht auszusetzen – das ist eine ideale Kombination für mehr Wohlbefinden.

Was bringt es, rauszugehen, wenn der Himmel bedeckt ist?

Das Licht unter freiem Himmel ist selbst an trüben Tagen viel intensiver als alles, was wir künstlich erzeugen können. Wenn wir diese Lichtstärke in Innenräumen hätten, würden wir es als blendend empfinden. Wir empfehlen daher bei jedem Wetter täglich 30 bis 60 Minuten im Freien zu verbringen – und gerne mehr. 

Sonnenlicht – Kunstlicht: Was sind die Unterschiede?

Sonnenlicht hat ein breites Spektrum über alle Wellenlängen hinweg. Bei Kunstlicht ist das anders. Häufig hört man in diesem Zusammenhang von schädlichem «blauem Licht», Licht mit recht hohen kurzwelligen Anteilen, zum Beispiel von Bildschirmen. Das erreicht Rezeptoren in unserer Netzhaut, die nicht dafür da sind, ein Bild zu vermitteln – sondern eine Zeitinformation abzuleiten. Das «Blaulicht» signalisiert, dass es Tag sei und Zeit wach zu sein. Deswegen wird oft empfohlen, es abends zu meiden. 

Bei allen positiven Aspekten: Gerade Sonnenbaden ist in den letzten Jahren in Verruf geraten.

Natürlich sollte man nicht in der prallen Mittagssonne brutzeln. Um Hautkrebs und einer vorzeitigen Hautalterung vorzubeugen, sollte man sich nicht zu lange direktem Sonnenlicht aussetzen, auf einen guten Sonnenschutz achten und auf jeden Fall Sonnenbrand vermeiden.

So nutzen Sie das Sonnenlicht

  1. Morgen raus

    Gehen Sie am Morgen möglichst bald nach dem Aufstehen nach draussen. Falls Sie das nicht schaffen: Auch im Tagesverlauf ist Licht hilfreich. Ein Gespräch muss nicht immer im Sitzungszimmer stattfinden – wie wäre es beim Spazierengehen?

  2. Einen Waldspaziergang machen

    Machen Sie an sonnigen Tagen einen Waldspaziergang . Die Bäume sind riesige Sonnenschirme. Genug Licht erhalten Sie trotzdem. Besonders wenn Sie anhalten und in die Wipfel schauen, die sich beruhigend hin und her bewegen. Hin und her. Hin und her …

  3. Lichtpausen während der Arbeit

    Stehen Sie auf für Tätigkeiten, die Sie nicht am Arbeitsplatz ausführen müssen. Für Telefonanrufe gehen Sie ans Fenster, Besprechungen finden an Stehtischen im Innenhof statt. Den neusten Bürotratsch geben Sie konspirativ auf dem Firmenparkplatz weiter.

  4. Ein Hobby an der frischen Luft

    Suchen Sie sich ein Outdoor-Hobby. Etwas, das entspannt und der Natur hilft. Reissen Sie Neophyten aus – gebietsfremde Pflanzen, die einheimische verdrängen. Gärtnern Sie, die kanadische Goldrute und das drüsige Springkraut warten auf Ihre kräftigen Hände.

  5. Am Fenster lesen

    Der Hundertjährige stieg aus dem Fenster. So weit müssen Sie nicht gehen, aber verschieben Sie doch die Leseecke vom Kamin zum Fenster. So dass das Sonnenlicht auf die weissen Seiten des Frankreichkrimis scheint, die es in Ihr Gesicht reflektieren.

  6. Nachtmodus nutzen

    Wenn Licht am Abend, dann bitte nicht so hell. Wer vor dem Schlafengehen nicht auf Tablet oder Smartphone verzichten möchte, sollte möglichst die Helligkeit reduzieren und den Night Shift Modus nutzen, um den Anteil an blauem Licht zu reduzieren.

Newsletter kpt focus

Erhalten Sie mit kpt focus regelmässig Tipps für mehr Wohlbefinden.

kpt focus jetzt abonnieren

Abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter kpt focus und profitieren Sie einmal pro Quartal von Informationen und Tipps zu sorgsam ausgewählten Themen rund um das Wohlbefinden.