Wie beeinflussen Neurotransmitter unsere Stimmung?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Neurotransmitter sind Botenstoffe. Über sie kommunizieren die vielen Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns miteinander. Damit beeinflussen Neurotransmitter alle wichtigen psychischen Funktionen. Auf Wohlbefinden, Antrieb und Leistungsfähigkeit wirken sich vor allem Acetylcholin, Dopamin, Serotonin und Noradrenalin aus, aber auch Endorphine oder das «Kuschelhormon» Oxytocin. Grundsätzlich funktionieren Neurotransmitter in sehr komplexen Systemen, in neuronalen Netzen mit spezialisierten Synapsen und Rezeptoren, die miteinander reagieren. 

Wie wirken sich düstere Tage auf die Prozesse in unserem Gehirn aus?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Dunkelheit kann die Balance von Neurotransmittern und Hormonen empfindlich durcheinanderbringen: Die Zirbeldrüse im Gehirn schüttet vermehrt das sogenannte Schlafhormon Melatonin aus. Mögliche Folgen sind Müdigkeit, fehlender Antrieb oder Schlaf- und Gedächtnisstörungen. Das kann auf die Stimmung drücken – und sogar zu einer richtigen Winterdepression führen. 

Kennen Sie ein Gegenmittel gegen dieses Stimmungstief?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Spaziergänge am Tag, sich möglichst lange hellem Licht aussetzen – das ist auf jeden Fall empfehlenswert. Wie wir die kalte Jahreszeit empfinden, das können wir aber steuern: Wir können ganz positiv an kuschelige Zweisamkeit, Kerzenschein und das gemütliche Wohnzimmer denken. Lassen Sie mich das aus der Perspektive der Neuropsychologie vertiefen: Emotionen und Verhaltenstriebe wie Unbehagen bei Dunkelheit steigen aus den tieferliegenden, instinktiv funktionierenden Hirnstrukturen in uns auf. Im Cortex, aussen in der Grosshirnrinde, finden jene Entscheidungsprozesse statt, was wir aus diesen aufsteigenden Emotionen machen. Denn als Menschen können wir diesen elementaren Instinkten unsere subjektive Interpretation entgegensetzen. Wir sind nämlich Weltmeister im Interpretieren unserer Wahrnehmung – und keine reinen Reizreaktionsmaschinen, die allein durch Neurotransmitter gesteuert werden. 

Gibt es trotzdem einen «Geheimtipp» für eine gute Balance unseres Botenstoffsystems?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Ich bin nicht unbedingt ein Freund von Empfehlungen wie «Iss Lebensmittel, die Tryptophan enthalten, damit dein Körper Serotonin bildet.» Mein «Geheimtipp» ist genauso simpel wie anspruchsvoll. Er lautet:

Lass dich nicht treiben – sondern suche Sinn und Aufgaben in deinem Leben. 

Was hat diese Sinnsuche mit unseren Neurotransmittern zu tun?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Unser Gehirn hasst Langeweile. Es will lernen, gefordert werden und Aufgaben lösen. Setzen wir uns Ziele und machen wir uns an die Arbeit, schüttet es zur Motivation Dopamin aus. Wer also in diesem Winter mehr Zeit hat als sonst: Belegen Sie einen Online-Sprachkurs, lesen Sie ein Buch mit Anspruch oder versuchen Sie es mal mit Yoga oder Meditation. Oder packen Sie etwas an, was lange liegengeblieben ist: Misten Sie die Fotokiste aus, oder bringen Sie Ordnung in die Dateien auf dem Computer.

Muss es denn immer Anstrengung sein?

Prof. Dr. Lutz Jäncke: Unser Hirn belohnt Anstrengungen. Joggen wir zum Beispiel durch den Wald, gibt die Hypophyse eine Runde Endorphine aus, die Glücksgefühle auslösen. Natürlich dürfen wir auch bewusst geniessen – und so unser Lustzentrum anregen: Kochen wir etwas Feines und essen es mit Freuden, wirkt sich auch das positiv auf den Serotoninspiegel aus. Auch Achtsamkeit für die schönen kleinen Dinge hebt das Wohlbefinden im Winter. Wenn wir draussen in der Kälte den Atemwölkchen hinterherschauen oder bewusst hören, wie der Schnee unter den Stiefeln knirscht.

Prof. Dr. Lutz Jäncke ist Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Er gehört zu den produktivsten und angesehensten Hirnforschern der Gegenwart. Als Autor zahlreicher Bücher vermittelt er sein Wissen rund ums Hirn allgemeinverständlich und humorvoll. Zudem führt er Seminare für Führungskräfte durch.

Die wichtigsten Neurotransmitter