«Kinder sind Hoffnung»
In schwierigen Situationen Mut, Ablenkung und Hoffnung schenken: Joy Winistörfer alias Prof. Prof. Flippa arbeitet im Kinderspital Zürich als Spitalclownin. Sie begleitet und unterstützt kranke Kinder während Untersuchungen und Behandlungen. Dabei taucht sie mit den kleinen Patientinnen und Patienten in eine Phantasiewelt ein und sorgt für magische Momente. Die KPT-Mitarbeiterin Natalie Portmann hat sie im Kinderspital getroffen und mit ihr über ihre Arbeit als «Mutmacherin» gesprochen.
Zurück im Leben: dank Organspende
«Si hei ä Läbere!» Lisa Schenk wird nie vergessen, wie ihre kleine Schwester die frohe Botschaft damals aufgeregt in den Garten rief. Die ganze Familie hatte darauf gewartet, dass für den Vater Michael Schenk eine Spenderleber gefunden wird. Und endlich, im Sommer 2002, klingelte das Telefon. «Dann ging alles sehr schnell», erzählt Michael Schenk, «einige Stunden später lag ich schon im Operationssaal des Berner Inselspitals.»
Seit seiner Jugend hat der heute 61-Jährige immer wieder viele Wochen im Spital verbracht. In den 1980erJahren wurde ihm aufgrund einer Autoimmunerkrankung prognostiziert, dass er zum Überleben bald eine neue Menschen Leber brauchen würde. «Aber es ging relativ lange gut», erinnert sich Michael Schenk. Er studierte Medizin, eröffnete eine eigene Arztpraxis, heiratete und wurde Vater von drei Kindern.
Ende 2001 verschlechterte sich sein Zustand. «Wir sind umgezogen und mir rutschten die Möbelstücke aus der Hand. Ich hatte keine Kraft mehr.» Es war Zeit. Als Arzt hatte er sich über die bevorstehende Transplantation gründlich informiert. «Das war für mich wichtig. Ich wollte mich nicht ausliefern, sondern selbst mitentscheiden.» Was gab ihm damals Hoffnung? «Meine Frau, die Kinder, Freunde und auch meine Patientinnen und Patienten haben mich unterstützt und getragen», sagt Michael Schenk. «Für mich war klar: Es gab keine Alternative zur Zuversicht.»
Schon zehn Tage nach der Transplantation war der Familienvater wieder zu Hause. «Meine alte Leistungsfähigkeit erreichte ich nicht mehr. Trotzdem konnte ich mit einem reduzierten Pensum in der Praxis arbeiten, meine Familie geniessen und auch wieder reisen.» 2015 war er sogar drei Monate lang in Indonesien unterwegs: mit einem Extrarucksack für die ganzen Medikamente.
«Für mich war klar: Es gab keine Alternative zur Zuversicht», sagt Michael Schenk.
Ein Jahr lang auf die zweite Leber warten
Im Sommer 2017 ging es gesundheitlich bergab; die Krankheit hatte die Leber wieder nach und nach zerstört. Tochter Lisa Schenk, inzwischen eine junge Frau, erinnert sich: «Wir mussten hoffen, dass die Werte meines Vaters schlecht genug werden, damit er erneut auf die Warteliste kommt. Das war so widersprüchlich – und kaum auszuhalten.» Der erlösende Anruf kam im Sommer 2018. Mitten in der Nacht, als die Familie Ferien auf der Schatzalp machte. Um fünf Uhr morgens stand das Taxi vor der Tür und brachte den Patienten ins Inselspital.
Die Transplantation verlief gut. In den nächsten Monaten kamen jedoch schwere Darmentzündungen hinzu. Weitere Operationen wurden nötig. Sie zogen Komplikationen nach sich, die Michael Schenk beinahe das Leben kosteten. Alles in allem verbrachte er drei Monate im Spital und in der Reha.
Trotz Infusionstropf sei er viel auf der Station herumgelaufen, um in Bewegung zu bleiben. «Ich habe vorwärtsgeschaut und einen Schritt nach dem nächsten gemacht.» Mit Ausdauer und Erfolg: Heute kann Michael Schenk wieder Velotouren unternehmen.
«Mein Vater wäre ohne die Organspende seit 20 Jahren tot», sagt Lisa Schenk. Deswegen engagiert sie sich bei Swisstransplant und beim Projekt Organspende Zürich (POZH). «Ich habe inzwischen viele transplantierte Menschen kennengelernt, die alle eine ungeheure Lebensfreude ausstrahlen. Deshalb wünsche ich mir, dass sich jeder mit dem Thema Organspende auseinandersetzt. Und wenn das Herz eines geliebten Menschen einem anderen das Leben ermöglicht und neue Hoffnung schenkt – dann kann man einem tragischen Ereignis vielleicht einen Sinn abgewinnen.»
Viel Leben auf der Abteilung für spezialisierte Palliative Care
Bangen und Hoffen: Damit ist Sandra Struchen in ihrem Berufsalltag häufig konfrontiert. Die 33-jährige Pflegefachfrau arbeitet auf der Abteilung für spezialisierte Palliative Care des Berner Inselspitals. Das ist doch sicher eine triste Angelegenheit? Klares Kopfschütteln. «Auch bei uns gibt es Humor», widerspricht sie. «Und es herrscht vielleicht noch mehr Leben als auf anderen Stationen.» Es ist ihr wichtig, gleich ein verbreitetes Missverständnis auszuräumen: «Viele denken, in der Palliative Care geht es nur ums Sterben, das stimmt aber nicht. Wir haben auch Patientinnen und Patienten, die mehrmals zur Behandlung von komplexen Symptomen oder zur Stabilisierung von schwierigen Krankheitssituationen kommen.» Dabei gibt es auch Raum für persönliche Gespräche. «Ich habe den Eindruck, hier kann ich den Menschen individuell begleiten», sagt die Pflegefachfrau.
Sandra Struchen: «Palliative Care ist keine triste Angelegenheit. Auch bei uns gibt es Hoffnung und Humor.»
Betreut werden nur Erwachsene und deren Angehörige. Etwa drei Viertel von ihnen haben Krebs. Dazu kommen Menschen mit anderen schweren Erkrankungen, die ihre Lebenszeit verkürzen. Manche können selbstständig leben, andere brauchen Hilfe bei der Körperpflege, beim Anziehen oder bei der Mobilisation. «Oft geht es darum, Symptome wie Schmerzen und Übelkeit in den Griff zu bekommen. Oder wir suchen gemeinsam nach Lösungen, damit die Person mit entsprechender Pflege weiter zu Hause wohnen kann.» Um dies zu gewährleisten, setzt sich das Behandlungsteam interprofessionell zusammen. Neben der ärztlichen und pflegerischen Betreuung können auch Physio-, Ernährungs- und Musiktherapie, Seelsorge, Psychoonkologie oder Sozialberatung involviert sein.
Hoffnung heisst nicht alles oder nichts
Die Hoffnung sei auch auf der Palliativabteilung ein Bestandteil des Lebens, sagt Sandra Struchen. «Dabei heisst Hoffnung nicht immer alles oder nichts. Wir erleben Menschen, die auf eine Wunderheilung hoffen. Andere sehnen sich danach, friedlich zu sterben. Die meisten wünschen sich, dass ihre Symptome kontrolliert werden und sie noch ein wenig Lebenszeit geniessen dürfen – zum Beispiel, um die Geburt des Grosskindes zu erleben.» Und dann gibt es die Hoffnung, dass man etwas hinterlässt, dass man in Erinnerung bleibt: Sandra Struchen erzählt von jungen Müttern und Vätern, die dank dem Verein Herzensbilder Familienfotos machen konnten, die für ihre Kinder Audiodateien aufnehmen oder Briefe schreiben. «So geben sie ihren Kindern etwas Wichtiges auf den Lebensweg mit, das später trotz allem Schmerz ein Gefühl von Geborgenheit und Zuversicht vermitteln kann.»
Wenn Sandra Struchen ihre Schicht beendet, legt sie die Arbeitskleider ab und macht die Tür hinter sich zu. So kann sie Abstand gewinnen. «Ich gebe 8,5 Stunden mein Bestes», sagt sie. «Viele Angehörige sind aber rund um die Uhr für einen geliebten Menschen da. Vor dieser Leistung habe ich grössten Respekt.» Woraus schöpft sie für ihre anspruchsvolle Arbeit Kraft und Hoffnung? «Ich lerne hier sehr viel», erklärt sie. «Ich erfahre täglich, dass man Schmerzen nicht hilflos ausgeliefert sein muss. Ich erlebe, wie Menschen nach und nach akzeptieren, dass für sie nicht mehr alles möglich ist. Wie sie trotz einer schweren Erkrankung durch eine gute Therapie das Leben noch lebenswert finden. Und dass es auch möglich ist, sich mit einer gewissen Ruhe auf ein friedliches Sterben vorzubereiten. Das ist doch ermutigend, oder?»
Der Familienberater als Anwalt der Hoffnung
«Gibt es für unsere Beziehung noch Hoffnung?» Wenn Paare mit dieser Frage auf David Kuratle zukommen, kann er keine Patentrezepte bieten. Er ist Pfarrer in der Berner Gemeinde Meikirch sowie Paar- und Familienberater. «Aber wenn ich als Aussenstehender anerkenne, dass manche Umstände nicht einfach zu tragen sind, ist das schon ein erster Schritt. Viele Paare realisieren im Rahmen der Beratung, dass sie es eigentlich gar nicht so schlecht machen – und plötzlich können sie auch wieder zusammen reden.»
Seine Aufgabe sei es, die Stimme der Hoffnung bei den Menschen zu stärken, sagt David Kuratle. Dazu stellt er Fragen: Was gab es für gute Momente in der Vergangenheit? Wo lässt sich anknüpfen, um die Beziehung weiterzuentwickeln? Was muss man akzeptieren – und was lässt sich verändern? «Ich ermutige auch zu einem achtsamen Umgang mit sich selbst und dazu eigene Bedürfnisse wichtig zu nehmen und zu äussern.» Denn das komme im Alltag oft zu kurz. Es sei dann schön, im Gespräch mitzuerleben, wie und wo Paare Potenzial entdecken. Wie sie neu wertschätzen, was an Positivem vorhanden ist. Im besten Fall gelingt ein Neuanfang. David Kuratle schildert das Beispiel eines Topmanagers, der neu die Tür zum Büro offen lässt und sich mehr Zeit für seine Kinder nimmt. Dessen Beziehung zu seiner Frau aufgeblüht ist, nachdem es monatelang nach Trennung aussah. Und er liest lächelnd die Dankes-SMS eines anderen Paares vor, das schreibt, er habe die beiden «beharrlich auf den Weg miteinander und zueinander» gebracht.
«Meine Aufgabe ist es, die Stimme der Hoffnung zu stärken», sagt David Kuratle.
Den inneren Frieden finden
Natürlich geht es nicht immer um die Liebe. «In meiner Tätigkeit als Seelsorger kommen Frauen und Männer zu mir, die niemanden finden, um über Einsamkeit, Krankheit oder den Tod zu reden. Die ehrlich sein wollen – und jemanden brauchen, der zuhört und das Schwere gemeinsam mit ihnen aushält.» Als Pfarrer könne er zudem in einem Gebet aussprechen, wofür die Menschen keine Worte mehr haben. «Was ich auch erlebe, ist der Wunsch nach Versöhnung, gerade vor dem Lebensende.» Und David Kuratle erzählt von zwei Männern, die als Kinder enge Freunde waren, sich dann zerstritten und fortan über Jahrzehnte als Rivalen im gleichen Dorf wohnten. Als einer der beiden sterbenskrank war, bat er den Pfarrer um Vermittlung: Der ehemalige Freund fuhr sofort ins Spital, wo es zu einer Versöhnung ohne viele Worte kam.
«Ob in der Paar- und Familienberatung oder in meiner Gemeinde: Ich staune immer, wie Menschen mit ihrem Leben zurechtkommen, die viel Schwieriges erlebt haben», hält David Kuratle fest. «Wie sie zuversichtlich bleiben, Prioritäten neu setzen und Dinge verändern. Oft fragen sie gar nicht: ‹Warum passiert das ausgerechnet mir?› Stattdessen versuchen sie, Schicksalsschlägen einen Sinn abzugewinnen, etwas aus ihnen zu lernen. Sie kommen aus der Opferrolle heraus und werden zum Gestalter. Aus all diesen Begegnungen nährt sich meine Hoffnung – und mein Glauben an das Gute.»