Die psychologische Forschung bezeichnet Hoffnung als einen Hauptfaktor für Wohlbefinden, Erfolg und Resilienz – was aber verstehen Sie als Hoffnungsforscher überhaupt darunter?

Dr. Andreas Krafft: Hoffnung ist nicht einfach das gleiche wie Optimismus, Glauben oder Wunschdenken. Es ist ein auf die Zukunft gerichteter Herzenswunsch: zum Beispiel auf Genesung oder einen Prüfungserfolg. Dazu kommt der Glaube, dass ich etwas dazu beitragen kann, damit daraus Realität wird. 

Wenn ich etwas erhoffe, werde ich also zugleich aktiv?

Ja, ich tue selbst etwas, um eine Situation zu verändern, oder ich suche mir Unterstützung. Eine positive Grundhaltung gehört aber auch dazu. Oder ein gewisses Urvertrauen, dass andere – zum Beispiel mein Arbeitgeber oder unsere Regierung – es grundsätzlich gut mit mir meinen.

Warum kann es schwerfallen, Hoffnung zu schöpfen? 

Weil wir eher auf das Negative fokussieren, um uns im Gefahrenfall schützen zu können: Das ist schon im Urmenschen angelegt. Auch heute machen wir uns selten bewusst, was alles prima läuft – uns fällt die Ausnahme auf.

«Eine positive Veränderung geschieht zuerst im Gefühl und im Kopf und danach in den Taten.»

In einem Ausnahmezustand sind wir zurzeit durch die Pandemie. 

Genau – und da prasseln viele negative Nachrichten auf uns ein. Wir befinden uns in einer für viele Menschen schicksalhaften Krise. Das darf man nicht verharmlosen, und da kann man nicht einfach sagen: Denk doch mal positiv. Trotzdem ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, was funktioniert und was gut ist. 

Gelingt das den Menschen in der Schweiz?

Bei unseren Befragungen im Rahmen des Hoffnungsbarometers 2021 waren die Menschen in etwa so zufrieden wie vor der Corona-Krise – und sie hoffen mehr als je zuvor.

Finden Sie das nicht erstaunlich?

In einer Krisensituation erkennen wir häufig erst, wie wichtig es ist, zu hoffen. Gleichzeitig wird uns klar, wie zufrieden wir eigentlich mit unserem Leben sind. Tatsächlich haben viele Menschen in der Rückschau auf das Jahr 2020 festgestellt, dass sie zwar sehr gefordert, aber durchaus in der Lage waren, Probleme zu lösen: Das macht zufrieden, und hat auch viele Paare und Familien gestärkt. 

Der Hoffnungsbarometer 2021

Seit elf Jahren erforscht Andreas Krafft das Phänomen der Hoffnung in einer international angelegten Internet-Studie mit über 150 Fragen. In der Schweiz nahmen im Pandemiejahr 2020 7000 Menschen daran teil. Ein Fazit: Die Menschen hoffen mehr als in vergangenen Jahren. An erster Stelle steht dabei die Gesundheit. Es folgen eine glückliche Ehe, Familie oder Partnerschaft, ein harmonisches Leben, gute soziale Beziehungen, persönliche Selbstbestimmung und eine sinnerfüllende Aufgabe. 

Dies sind die meistgenannten Quellen der Hoffnung:

Hier geht’s zum Hoffnungsbarometer

Aus welchen Quellen schöpfen wir Hoffnung?

Die meisten Menschen nennen die Verbindung zur Natur als wichtigste Quelle. Gehen wir nach einem Tag mit Homeschooling oder Zoom-Sitzungen in den Wald oder in die Berge, öffnet das unseren Horizont. Wir nehmen – mit allen Sinnen – mehr Eindrücke wahr und fokussieren nicht nur auf unsere Probleme. Wir atmen nicht nur physisch-körperlich, sondern auch seelisch durch. 

Fast ebenso viele Befragte finden die Beziehungen zur Familie und zu Freunden am wichtigsten. 

«Wer eine Herausforderung findet, hofft auch wieder.»

Was ist für eine hoffnungsvolle Einstellung noch entscheidend?

Offen zu sein für Neues. Sich zu trauen, mal etwas anderes zu machen. Wer eine Herausforderung findet, hofft auch wieder. Wir haben gestaunt, wie viele Leute jetzt während der Krise zu ganz neuen Ufern aufgebrochen sind: den Job gekündigt und sich selbstständig gemacht oder ihr Geschäftsmodell vollkommen umgekrempelt haben. 

 

Viele Menschen sind auch enger zusammengerückt und haben gemeinsam neue Lösungen entwickelt.

Das ist ein wichtiger Punkt. Der grösste Feind der Hoffnung ist die Einsamkeit; Hoffnung hat vor allem auch mit Gemeinschaft zu tun. Heute gehen Junge und Alte in vielen Quartieren fürsorglicher miteinander um und kaufen zum Beispiel füreinander ein. Dieses Engagement für andere trägt eindeutig dazu bei, dass man hoffnungsfroher ins Leben schaut. 

So steigt Ihr persönlicher Hoffnungsbarometer

Hoffnung ist eine wichtige Kraftquelle. Hier stellen wir Ihnen Bewältigungsstrategien vor, die helfen, in schwierigen Zeiten zuversichtlich nach vorne zu blicken. 

  1. Akzeptieren, was nicht zu ändern ist

    Sehen Sie der Realität ins Auge und nehmen Sie die Situation erst einmal an: der erste Schritt für einen aktiven, konstruktiven Umgang mit Herausforderungen. 

  2. Aufbruch statt Stillstand

    Nehmen Sie das Steuer selbst in die Hand, wenn Veränderungen anstehen. Lassen Sie sich durch Kurse, Webinare, Bücher und Gespräche mit anderen inspirieren. 

  3. Das Machbare anpacken

    Fokussieren Sie sich auf Dinge, die Sie selbst beeinflussen oder tun können, wie Ihre Aufgaben bei der Arbeit, innerhalb der Familie oder in Ihrer Gemeinde. 

  4. Zuversichtlich Pläne schmieden

    Nichts motiviert so wie ein selbstgestecktes Ziel oder eine Aktivität, auf die wir uns freuen. Tragen Sie Termine für geplante Treffen oder Events in den Kalender ein. 

  5. Fakenews ignorieren

    Ignorieren Sie wilde Spekulationen und Verschwörungstheorien. Bleiben Sie wach – aber richten Sie Ihren Blick auf konstruktive, positive Aspekte in der Welt.

  6. Schöne Momente geniessen

    Freuen Sie sich über Ihr selbstgebackenes Brot, das herzliche E-Mail oder den Duft der Frühlingsblumen. Viele kleine positive Erlebnisse füllen Ihre Energiereserven auf. 

  7. Sich Unterstützung suchen

    Sprechen Sie mit Menschen, die Ihnen nahestehen, über Ihre Sorgen und Gefühle – oder suchen Sie sich bei Fachpersonen psychologische Unterstützung. 

  8. … und Hilfe bieten

    Wer könnte Ihre Hilfe gebrauchen? Suchen Sie sich ein Ehrenamt oder schauen Sie sich in der Nachbarschaft um: Bedarf ist sicher vorhanden. 

Dr. OEC. HSG Andreas Krafft ist Dozent an der Universität St. Gallen, Managementberater und Leiter des internationalen Forschungsnetzwerks Hoffnungsbarometer. Seit über zehn Jahren ist der Hoffnungsforscher, Buchautor und Fachmann für Sozial- und Positive Psychologie als Trainer und Coach von Firmen und Führungskräften tätig.

Daniel Peter: ein «Enthinderer», der anderen Hoffnung gibt

Daniel Peter hat die Hoffnung nie aufgegeben: Obwohl er nach einem schweren Autounfall im Säuglingsalter im Laufe seines Lebens zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen musste und heute meist auf den Rollstuhl angewiesen ist. «Herausforderungen habe ich nie gescheut – ich glaube immer daran, dass ich eine Lösung finden kann», sagt der Tüftler Daniel Peter. Mit seiner Firma petertools.life hat er sich auf die Fabrikation von Gegenständen spezialisiert, die körperlich beeinträchtigten Menschen den Alltag erleichtern. 

Die Produkte, die er herstellt, geben Menschen mit Einschränkungen die Hoffnung auf Selbstständigkeit, Freiheit oder Stil zurück: So hat er für einen Freund, der Hände und Arme kaum bewegen kann, ein «Hands-Free Glass» für den Weingenuss entwickelt. Oder spezielle Fussbretter und Räder, durch die man mit dem Rollstuhl komfortabler unterwegs ist. Ganze drei Jahre lang hat er Knüpftechniken ausprobiert, bis er ein Schnürsenkelsystem entwickelt hatte, das sich mit einer Hand binden lässt. «Ich habe aber immer daran geglaubt, dass es am Ende gut kommt», sagt Daniel Peter. «Und die Hoffnung geht der Umsetzung eben immer ein ganzes Stück voraus.»

Zur Website von Petertools

SRF-Beitrag über Daniel Peter