Felizitas Ambauen, was ist Beziehungsarbeit?

Ich vergleiche die Beziehung gerne mit einem Garten. Da muss ich das Gemüse und die Blumen pflegen, damit sie gedeihen, giessen, wenn es trocken ist, und Unkraut ausreissen, bevor es alles überwuchert. Ähnlich sollten auch Paare ihre Beziehung pflegen: sich von Anfang an regelmässig abgleichen, die eigenen Bedürfnisse mitteilen, die sich ja auch verändern können. So hält man die Partnerschaft langfristig am Laufen.

Es kommt also vor allem auf die Kommunikation an?

Kommunikation ist ein wichtiger Teil, aber 75 Prozent von guter Beziehungsarbeit findet an mir selbst statt: Wenn ich in ruhigen Minuten die Beziehung reflektiere, über unsere Rituale nachdenke, mir überlege, wie ich zu mehr gegenseitigem Wohlwollen beitragen kann. Wichtig ist auch zu realisieren, was man überhaupt will. In einer Beziehung müssen beide für ihre Bedürfnisse einstehen und Verantwortung für ihr seelisches und körperliches Gleichgewicht übernehmen. Selbstfürsorge ist wichtig, ohne sie ist eine gute Partnerschaft nicht möglich. 

Manche denken jetzt: «Uff!»

Ja, Beziehungsarbeit klingt für viele immer noch negativ und anstrengend. Dabei kann sie auch Spass machen. Man lernt viel über sich.

Es ist wie mit dem Garten. Wer eine gewisse Passion entwickelt, vielleicht auch mal ein Buch liest oder einen Podcast hört, entwickelt Freude an der Arbeit und kann ernten: Gemüse – respektive viele zufriedene Momente in der Partnerschaft.

Es ist wie mit dem Garten. Wer eine gewisse Passion entwickelt, vielleicht auch mal ein Buch liest oder einen Podcast hört, entwickelt Freude an der Arbeit und kann ernten: Gemüse – respektive viele zufriedene Momente in der Partnerschaft.

Wenn man denn die Zeit hat. Es gibt stressige Lebensphasen, da vernachlässigt man den Garten. Droht die Gefahr auch bei der Beziehung?

Ja, im Alter von 30 bis 50 Jahren, kommt oft einiges zusammen. Karriere, persönliche Projekte, vielleicht der Bau eines Eigenheims. Oder man muss sich plötzlich um seine Eltern kümmern. Am stärksten nimmt der Stress mit der Geburt des ersten Kindes zu. Plötzlich fehlen Räume für Me-Time und Paarzeit, man hat abends wenig Nerven. Die Spannung geht hoch, die Energie runter. Unter diesen Bedingungen wird jede Kommunikation schlechter.

Was passiert?

Wir denken und handeln weniger rational, suchen kaum noch den Konsens, sondern sind in Angriff und Verteidigung gefangen. Unter Stress werden öfter alte Muster ausgelöst, die nicht in die Partnerschaft gehören, sondern in der Herkunftsfamilie erlernt wurden. Wir hören im Partner z.B. plötzlich den autoritären Vater sprechen und reagieren mit den Vermeidungsstrategien, die wir uns als Kind angeeignet haben.

Geht das allen so?

Es ist nicht immer gleich ausgeprägt, aber wir haben alle in der Kindheit gelernt, auf bestimmte Arten mit Konflikten umzugehen. Wie im Tierreich gibt es dabei drei typische Muster: Angriff, Flucht oder Erstarren. Es ist völlig normal, diese Muster zu haben.

Wo liegt genau das Problem?

Immer, wenn wir in diese Muster zurückfallen, handeln wir nicht mehr kontrolliert als rationale Erwachsene. So ist es sehr schwierig, die Bedürfnisse und Wünsche des Gegenübers zu verstehen. Man gerät öfter aneinander oder geht sich aus dem Weg, um Konflikte zu vermeiden.

Was raten Sie Menschen in diesen stressigen Lebensphasen?

Grundsätzlich der Beziehung Priorität zu geben. Beziehungspflege mag in einem bestimmten Moment nicht dringend sein, aber sie ist wichtig, damit sie nicht plötzlich dringend wird.

Idealerweise schaffen es Paare regelmässig, die Spannung runterzubringen. Durch Nachdenken, Gespräche und schöne Momente bauen sie einen Puffer auf, eine Art Beziehungsenergie, von der sie dann auch in herausfordernden Situationen zehren können. 

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Paarbeziehungen?

Das hängt von den Gewohnheiten vor Corona ab. Paare, die schon immer gut miteinander kommunizierten, kommen besser klar. Freiheitsliebende Paare tun sich schwerer. Konflikte kann es geben, wenn die Wünsche unterschiedlich sind. Wenn eine Person flüchten möchte, während die andere Nähe sucht.

Was in meiner Praxis oft beklagt wird, ist die fehlende Paarzeit. Viele sehnen sich nach den Genussmomenten, die man sich ausserhalb der Wohnung holt: Übernachtung im Hotel, Restaurantbesuch, Kino, Ferien. Paare, die sich so ihren Puffer aufgefüllt haben, müssen nun andere Rituale finden.

Wenn es zu Konflikten kommt – was ist Ihr wichtigster Rat an Paare?

Immer erst die Klappe halten und nachdenken, bevor man lospoltert oder rausstürmt. Tatsächlich ist ein kleiner Break oft das Hilfreichste, um für sich nachzudenken: Worum geht es überhaupt? Auf wen oder was bin ich eigentlich wütend? Ist es wirklich das Gegenüber oder doch mehr die Situation? Was brauche ich jetzt, um wieder in den gesunden Spannungsbereich zu kommen? 

Wie sieht so ein Break aus?

Im Idealfall schafft man es gemeinsam zu sagen: «Hey, Moment, lass uns abkühlen und darüber reden, was gerade passiert.» Unter Spannung ist das aber schwierig. Realistischer ist es, dass eine Person merkt «mein Spannungslevel ist zu hoch» und kurz weggeht. Wichtig ist, dass sie dabei keinen Beziehungsbruch begeht. Schnaubend wegstürmen ist in sich eine Eskalation. Man kann für solche Situationen ein Codewort vereinbaren oder einfach ruhig sagen: «Ich muss rasch aufs WC.»

In der nächsten Situation will man es besser machen. Was muss man bei der Kommunikation beachten?

Ich visualisiere das gerne anhand der Kommunikationspyramide, die ich mit meinem Mann entwickelt habe. Der Rahmen muss stimmen, das Timing, der Tonfall und die Wortwahl. Diese Ebenen sollten sich beide bewusst machen und entsprechend handeln, denn WAS ich sage, ist nur ein Teil der Kommunikation. Also nicht im Ikea eine Grundsatzdiskussion über den Haushalt beginnen, da stimmt der Rahmen nicht. Dann kann man sich fragen, ob Freitagabend der richtige Zeitpunkt für das wöchentliche Beziehungsgespräch ist, oder vielleicht besser der entspannte Sonntagmorgen. Mit gehässigem Unterton wiederum bringen auch die richtigen Worte nichts.

Das klingt in einer gesunden Beziehung gut machbar. Aber was, wenn die Probleme tiefer liegen, Kommunikation kaum vorhanden oder sehr schwierig ist?

Dann braucht es tiefergreifende Arbeit und eine gewisse Zeit. Vielleicht ist eine grundlegende Neuorganisation angebracht – wie in einem Unternehmen. Ich empfehle dann wirklich, zuerst ein Buch zu lesen oder unseren Podcast zu hören, um sich das nötige Hintergrundwissen über Kommunikation und Psychologie anzueignen. Das allein reicht aber nicht. Schlussendlich muss das Paar gemeinsam in die Beziehung investieren. Eine Paartherapie kann helfen. 

Ist es für Paare schwierig, sich einzugestehen: «Wir brauchen eine Therapie»?

Da findet ein Generationenwechsel statt. Die Generation X bis und mit den 70er-Jahrgängen ist geprägt von: «Therapie heisst, wir haben versagt. Das ist ein letzter verzweifelter Versuch vor der Trennung.» Generation Y, also die in den 80ern und frühen 90ern geborenen Millennials, sind offener. Sie hängen eine Paartherapie aber auch nicht an die grosse Glocke. Generation Z sieht Therapie ohne Vorurteile als eine Möglichkeit, an sich zu arbeiten. Kürzlich hatte ich ein junges, verliebtes Tinderpärchen in meiner Praxis. Sie waren erst ein paar Wochen zusammen und wollten von Anfang an in keine Fallen tappen. 

Sieht so eine Therapie anders aus?

Man muss das gar nicht unbedingt Therapie nennen, wenn man nicht will. Mein Partner ist Coach und wir haben zusammen einen eintägigen Workshop «Paarcours» entwickelt, für genau solche Paare, die sich vor der grossen Krise weiterentwickeln wollen. Dabei behandeln wir Themen, die viele Paare betreffen. Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass Paare mit kleinen Kindern zu 80 Prozent vor denselben Herausforderungen stehen. 

Wie realistisch ist es, dass wir unser Verhalten wirklich ändern können, wenn es nötig ist?

Sehr realistisch, aber man muss bereit sein, seine Muster anzuschauen. Das kann aufwendig und auch schmerzhaft werden. Die Muster können wir nicht einfach so löschen, aber wir können lernen, anders mit ihnen umzugehen und besser verstehen, was bei der Kommunikation passiert. Das lohnt sich. Mit fairen Strategien und Wohlwollen kann Diskutieren sogar bei unterschiedlichen Meinungen wieder Freude machen. 

Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die Paartherapien anbieten, finden Sie am einfachsten auf: https://www.psychologie.ch/

Lic. phil. Felizitas Ambauen ist Psychotherapeutin FSP und eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin. Sie führt eine Praxis in Nidwalden, bietet Paar-Workshops an und hat kürzlich ihren zweiten Beziehungspodcast ins Leben gerufen.

Praxistipps für die Beziehungsarbeit

  1. Tägliche Kurzreflexion

    Fragen Sie sich einmal am Tag in einer ruhigen Minute – nur Sie allein: Läuft es gut in unserer Beziehung? Wie kommunizieren wir? Was brauchen wir? Diese Reflexion lässt sich gut in den Alltag einbauen, zum Beispiel am Morgen im Bad.

  2. Wöchentlicher Wetterbericht

    Setzen Sie sich einen fixen wöchentlichen Termin, an dem sie gemeinsam über Ihre Beziehung reden. Was sind Ihre Wünsche und Träume. Was lief diese Woche gut, was weniger? Welche Situation habe ich wie wahrgenommen?

  3. Der Unfallrapport

    Gab es Streit? Dann setzen Sie sich später zusammen und sprechen darüber. Zum Beispiel am Folgetag. Was waren die Gründe? Was hat mich verletzt? Wie hätten wir die Situation besser lösen können? Aufschlussreich ist es auch, mal eine Diskussion zu filmen.

  4. Rituale

    Etablieren Sie regelmässige gemeinsame Tätigkeiten, die zusammenschweissen und den Beziehungspuffer aufladen. Ein Erholungswochenende in den Bergen, ein kurzer Abendspaziergang oder zusammen Fotos von früher anschauen.

  5. Spannungsbarometer

    Schätzen Sie Ihre Anspannung, zum Beispiel in einem schwierigen Beziehungsgespräch regelmässig auf einer Skala von 1 bis 10 ein. Erreichen Sie einen Wert über 7, müssen Sie erst für sich aktiv werden, bevor Sie das Gespräch konstruktiv weiterführen können.

  6. Codewort

    Machen Sie ein Codewort ab, das sie aussprechen, wenn zum Beispiel ein Streit droht. Das Codewort bedeutet: Stop! So kommen wir nicht weiter. Lass uns hier abbrechen und später unter besseren Bedingungen darüber reden.

  7. VW-Regel

    Hinter jedem Vorwurf steht ein Wunsch. «Nie räumst du auf» heisst vielleicht «ich würde gerne ordentlicher wohnen». Formulieren Sie Wünsche, nicht Vorwürfe. Und kommt es doch zu Vorwürfen: Versuchen Sie die Wünsche dahinter zu ergründen.

  8. Sprachnachrichten

    Sie haben genervt das Haus verlassen oder wollen ein schwieriges Thema vorbringen? Reden Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner darüber – per Sprachnachricht. 

    Hören Sie sich die Aufnahme vor dem Senden noch einmal an und achten sie auf Tonalität und Wortwahl.

  9. Positives überbetonen

    Kritik schlägt stärker ein als Lob und so gilt für fast jede Kommunikation: Einer negativen Botschaft sollten fünf positive Botschaften gegenüberstehen. Heben Sie also regelmässig das Schöne und Gute in Ihrer Beziehung hervor.

  10. Training am Spiegel

    Trainieren Sie ruhiges Reden trotz Ärger oder üben Sie, Vorwürfe als Wünsche zu formulieren. Fast alles ist lernbar und gelingt mit etwas Übung im Ernstfall - also unter Anspannung – gleich deutlich besser.

Der Fach-Podcast

In zahlreichen Folgen vermittelt dieser Podcast ein breites Wissen über die Psychologie von Beziehung und Kommunikation. Wer hier einsteigt und mitdenkt, lernt viel über sich selbst.

Beziehungskosmos

Felizitas Ambauen und Journalistin Sabine Meyer besprechen alle zwei Wochen die brennendsten Beziehungsfragen. Mit Beispielen aus dem Praxisalltag und voller handfester Tipps und Tricks.

Der Paar-Podcast

Seit kurzem sendet Ambauen auch zusammen mit ihrem Mann. Im diesem sehr persönlichen Beziehungspodcast, präsentiert von der Mütterplattform Any Working Mom, erzählen sie von ihrer eigenen Beziehungsarbeit.

Du so. Ich so.

Felizitas Ambauen und Amel Rizvanovic sind ein Paar und sie beraten andere Paare. Die beiden kennen die Klassiker der Beziehungskonflikte und teilen ihr Praxiswissen alle zwei Monate in unterhaltsamen Gesprächen.